Eine Auszahlung des Kindergeldes an das Kind selbst darf nicht wegen Minderjährigkeit des Kindes versagt werden, da die Volljährigkeit kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal des § 74 Absatz 1 EStG ist. Dies stellt das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein klar.
Die am 01.08.2000 geborene Klägerin begehrte die Abzweigung von Kindergeld für den Monat August 2016 an sich selbst. Die Kindesmutter hatte am 27.06.2016 die sofortige Einstellung der Kindergeldzahlung und die Überweisung an das Jugendamt beantragt, da sie die elterliche Sorge an das Jugendamt abgegeben habe. Die Eltern gewähren der Klägerin keinen Unterhalt, sie erhielten Leistungen des Jobcenters. Kindergeld wurde letztmalig für Juli 2016 gezahlt und die Zahlung ab August 2016 eingestellt.
Daraufhin beantragte der Vormund der Klägerin für diese die Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 EStG. Die Beklagte erwiderte, dass nach der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem EStG (Stand 2016, Nr. V.32.3) eine Abzweigung nach § 74 Absatz 1 EStG an das Kind selbst als Abzweigungsempfänger nur möglich sei, wenn es volljährig sei und für sich selbst sorge. Hier scheide eine Abzweigung folglich schon deshalb aus, weil die Klägerin noch minderjährig sei.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. § 74 Absatz 1 EStG eröffne der Familienkasse die Möglichkeit, das Kindergeld an eine andere Person als den Kindergeldberechtigten, insbesondere auch an das Kind selbst, auszuzahlen, so das FG. Diese Möglichkeit müsse zur Durchsetzung der Zweckbestimmung des Kindergeldes im Falle von volljährigen und minderjährigen Kindern bestehen. Es seien insoweit keine dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Aspekte ersichtlich, warum bei der Abzweigung kategorisch zwischen voll- und minderjährigen Kindern differenziert werden sollte. Dies gelte umso mehr, wenn – wie im vorliegenden Fall – letztere kurz vor der Volljährigkeit stehen und ihnen ein Vormund bestellt ist.
Zwar erkannte das FG, dass hinsichtlich der Erfüllungswirkung einer Leistung an ein minderjähriges Kind Zweifel bestehen können, weil umstritten ist, ob ein minderjähriges Kind – wirksam – eine Annahme zur Erfüllung erklären kann. Probleme bei der Erfüllung einer Abzweigungsverbindlichkeit seien zwar im Rahmen der tatsächlichen Ausführung der Zahlung zu beachten. Sie könnten jedoch auf die Grundentscheidung der Abzweigung selbst keinen Einfluss haben und daher nicht zu einer Verweigerung der Abzweigungsentscheidung führen. Dies gilt nach Ansicht des FG zumindest dann, wenn – wie im Streitfall – der Minderjährigen ein Vormund bestellt ist und dieser die Abzweigung verlangt. Denn damit könne eine Einwilligung des Vormunds gemäß §§ 107, 1793 Absatz 1 BGB zum Empfang des Geldes angenommen oder jedenfalls herbeigeführt werden, sodass Zweifel an der Erfüllungswirkung bei einer Leistung an das Mündel nicht ersichtlich seien. Im Übrigen sei das Gericht nicht an die entgegenstehende Verwaltungsanweisung gebunden.
FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 28.06.2017, 2 K 217/16, rkr
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Andre Reischert