Die Auszahlung einer einheitlichen Abfindung in zwei Teilbeträgen steht der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausnahmsweise nicht entgegen, wenn sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen und wenn die Nebenleistung geringfügig ist. Dies stellt der Bundesfinanzhof (BFH) klar.
Der Kläger war seit 1971 bei demselben Arbeitgeber nichtselbstständig beschäftigt. Im Jahr 2009 betrug sein Bruttoarbeitslohn circa 34.500 Euro. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag zum 30.09.2010. Für den Verlust des Arbeitsplatzes sagte der Arbeitgeber dem Kläger eine betriebliche Abfindung von 104.800 Euro sowie eine Tarifabfindung von 10.200 Euro zu. Die Tarifabfindung floss dem Kläger im Jahr 2010 zu und wurde in voller Höhe besteuert. Der Bruttoarbeitslohn belief sich einschließlich der Tarifermäßigung im Jahr 2010 auf circa 44.300 Euro. Die betriebliche Abfindung floss dem Kläger im Streitjahr (2011) zu. Der Arbeitgeber führte die Lohnsteuer ohne Berücksichtigung der Tarifermäßigung ab. In seiner Einkommensteuererklärung für 2011 machte der Kläger geltend, die betriebliche Abfindung sei als Entschädigung für entgangene Einnahmen mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Das beklagte Finanzamt unterwarf die betriebliche Abfindung davon abweichend dem vollen Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.
Die 2011 vom Kläger vereinnahmte betriebliche Abfindung von 104.800 Euro führe unter Berücksichtigung seiner individuellen Steuerbelastung zu außerordentlichen Einkünften, so der BFH. Seien in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, sei nach § 34 Absatz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Absatz 2 Nr. 2 EStG kämen als außerordentliche Einkünfte unter anderem Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Um eine solche handele es sich bei der vom Kläger für den Verlust seines Arbeitsplatzes erhaltenen einheitlichen Abfindung.
Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG setzten weiter voraus, dass die Entschädigung grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zufließt und geeignet ist, zu einer einmaligen und außergewöhnlichen Progressionssteigerung zu führen. Diese abzumildern sei der Zweck der Billigkeitsregelung des § 34 EStG. Dass die Auszahlung der betrieblichen Abfindung beim Kläger im Streitjahr zu einer einmaligen außergewöhnlichen Progressionsspitze geführt hat, stehe außer Frage. Fraglich sei allein, ob die Auszahlung in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumen der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes entgegensteht. Denn dies sei grundsätzlich der Fall, weil Teilauszahlungen stets eine Progressionsmilderung bewirkten.
Eine Teilauszahlung könne aber ausnahmsweise unschädlich sein, wenn andernfalls der Zweck des Gesetzes verfehlt würde. Die Auszahlung einer einheitlichen Abfindung in zwei Teilbeträgen stehe der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausnahmsweise nicht entgegen, wenn sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen und wenn die Nebenleistung geringfügig ist. Unter welchen Umständen von einer geringfügigen Teilleistung auszugehen ist, bestimme sich nach dem Vorliegen einer Ausnahmesituation in der individuellen Steuerbelastung des einzelnen Steuerpflichtigen.
Hiernach sei die Teilauszahlung von 10.200 Euro im Vorjahr noch als geringfügige Nebenleistung anzusehen. Sie belaufe sich auf 8,87 Prozent der Gesamtabfindung oder 9,73 Prozent der Hauptleistung. Eine geringfügige Nebenleistung habe er BFH nicht mehr angenommen, wenn sie mehr als zehn Prozent der Hauptleistung beträgt.
Ergänzend sei zu berücksichtigen, dass die Nebenleistung niedriger sei als die Steuerentlastung der Hauptleistung. Mit dieser Begründung habe der BFH zwar bislang nur eine sozial motivierte, nachträgliche Zusatzleistung des Arbeitgebers der Höhe nach als unschädlich erachtet. Der Maßstab lasse sich jedoch zur Konkretisierung der bloßen Geringfügigkeit gleichermaßen heranziehen. Müsste unter diesen Umständen die Tarifermäßigung versagt werden, stünde der Steuerpflichtige besser da, wenn er die Teilauszahlung nicht erhalten hätte. Die Teilauszahlung würde (vor Steuern) noch nicht einmal den steuerlichen Nachteil ausgleichen, den sie verursacht hat. Dieses Ergebnis würde zu wirtschaftlich unsinnigen Gestaltungen Veranlassung geben. Dies verdeutlicht, dass die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach dem Zweck des Gesetzes trotz der Teilzahlung zur Abmilderung der einmaligen individuellen Progressionssteigerung im Streitjahr noch geboten ist. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger auf die Höhe der Abfindung und die Modalitäten ihrer Auszahlung offenbar keinen entscheidenden Einfluss hatte.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.10.2015, IX R 46/14
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Dominique Engelhardt